03.07.07 - |
Morgen gibt es Streik bei der Bahn. Der Regionalverkehr ist betroffen, die S-Bahn auch. Wir überlegen schon, wie wir am besten zur Arbeit kommen. Abends dann Entwarnung: Der Streik ist abgeblasen. Puh, nochmal Glück gehabt. Na denn – Gute Nacht!
Die Nachtruhe endet abrupt um 6.00 Uhr mit den Nachrichten – und es gibt doch Streik!
Na gut, schauen wir mal, was nun stimmt. Ich gehe zum Bahnhof wie immer und sehe aus der Ferne die 6.57 Uhr-S-Bahn vorbeifahren. Na gut, denke ich, geht doch. Begebe mich also auf den Bahnsteig und will zum 7.07 Uhr-Regionalexpress. Vom gegenüberliegenden Bahnsteig ruft mir eine Frau freundlicherweise zu „Fährt heute nicht!“. Gut, nehme ich eben die S-Bahn um 7.02 Uhr. Die kommt aber nicht. Ach ja, Personalengpass, heute ist schon Ferienfahrplan, da fallen die Verstärkerzüge aus. Dann eben 7.07 Uhr. Kommt auch nicht. Der Bahnsteig füllt sich allmählich, Informationen gibt es keine. Nach weiteren 10 Minuten Wartezeit gebe ich es auf, schicke kurze Infos per SMS an ein paar Leute, die erst später fahren müssen. Ich habe ja schließlich Alternativen.. Bleiben folgende Möglichkeiten:
- Straßenbahn bis Schöneweide und dann über Baumschulenweg scheidet aus, da müsste ich auch eine Station S-Bahn fahren
- Mit dem Fahrrad fahren, aber für heute sind heftige Regenfälle angesagt.
- Durchschlagen bis zur Fähre Wilhelmstrand, übersetzen und mit dem Bus 170 bis direkt vors Büro fahren. Ist aber ziemlich zeitaufwendig, denn ich muss erst mal bis zur Fähre kommen, und außerdem steht heute der Bus bestimmt noch schlimmer im Stau als sonst.
- Straßenbahn 21 bis Frankfurter Tor, umsteigen, wieder Straßenbahn M10 bis Warschauer Straße, ab da U-Bahn U1 bis Hallesches Tor, umsteigen in die U6, bis Ullsteinstraße fahren und dort in den Bus 170 steigen. Auch das recht zeitaufwendig, denn die Straßenbahn 21 fährt ziemliche Umwege und hält an jedem dicken Baum
- Straßenbahn M17 oder 27 oder 37 in die andere Richtung und U-Bahn U5 ab Tierpark, Frankfurter Tor aussteigen, mit der Straßenbahn M10 bis Warschauer Straße und wie unter 4. weiter mit U1, U6 und Bus 170. Dauert auch sicher etwas länger, aber irgendwie muss ich ja hinkommen.
Ich entscheide mich für die 5. Lösung und gerade sehe ich auch, dass an der Ampel eine Straßenbahn der Linie 37 wartet. Ich beeile mich und der Fahrer öffnet mir die Tür noch einmal. Danke schön! Die Bahn ist schon ganz gut gefüllt und an den nächsten 3 Haltestellen steigen weitere Fahrgäste ein. „Kuschelig ist das“, denke ich mir. Aber ich ahne ja nicht, was noch kommt. Mit Hilfe meiner Ellenbogen gelingt mir der Ausstieg am Tierpark und ich bewege mich mit der übrigen Menschentraube zur U-Bahn, wo mir die Anzeigetafel schon munter entgegenblinkt: „Der gesamte S-Bahnverkehr ist bis 9.00 Uhr unterbrochen“. Außerdem warten dort geschätzte 100.000 weitere Menschen auf die Bahn, die 5 Minuten später eintrifft. Auch bereits sehr gut gefüllt. Ich dränge mich zusammen mit 50.000 der anderen Fahrgäste dennoch hinein, die anderen warten draußen auf die nächste Bahn. Los geht die Fahrt, an jeder Haltestelle steigen noch ein paar Leute dazu, aussteigen kann bei dem Gedränge niemand. Leider auch ich nicht, als die Bahn die Haltestelle Frankfurter Tor erreicht. So bleibt mir nichts anderes übrig, als bis zur Endhaltestelle Alexanderplatz mitzufahren. Ich überlege weiter: Alexanderplatz – umsteigen in die U2, bis Stadtmitte fahren, umsteigen in die U6 und weiter wie gehabt. Gut! Beim Erreichen der Endstation stelle ich fest, dass sich offensichtlich in der gar nicht mehr so kuscheligen U-Bahn jemand an meinem Rucksack zu schaffen gemacht hat. Der Reißverschluss zu einem Seitenfach ist offen. Aber das lässt mich zum Glück völlig kalt, in diesem Fach befanden sich lediglich ein Päckchen Kaugummi und Papiertaschentücher – darunter auch ein benutztes. Hah! Ist jedenfalls alles noch da. So, jetzt weiter zur U2. Ein Menschenlawine bewegt sich in Richtung Blechbüchse. Da die Kleinprofilbahnen auf dieser Strecke weniger Kapazitäten anbieten als die U5, mit der ich angekommen bin, ist der Bahnsteig diesmal mit geschätzten 200.000 Menschen gefüllt. Das dauert gut und gerne 5 – 6 Bahnen, bevor ich mitkomme. Also wieder Alternativen überlegen. Durchschlagen bis zum Bahnhof Friedrichstraße und in die U6 steigen. Prima, da nehme ich doch den Bus und fahre bis zur Haltestelle Unter den Linden / Friedrichstraße. Von dort ist es nicht mehr weit zu laufen. An der Bushaltestelle stehen geschätzte 50.000 Menschen und warten auf einen 100er, 200er oder anderen Bus, der Richtung Friedrichstraße fährt. Es kommt aber nur ein 248er, der ganz leer ist, aber leider frühzeitig abbiegt. Die Leute fluchen und treten einen Schritt zurück. Ich sehe meine große Stunde gekommen und besteige seelenruhig den Bus. Man ruft mir noch hinterher „Der fährt aber nicht zur Friedrichstraße!“. Ich bedanke mich freundlich und mit einem entspannten Lächeln lasse ich mich auf einen freien Sitzplatz fallen. Das ist nämlich noch viel besser so: Dieser Bus hält am U-Bahnhof Hallesches Tor, habe ich mit einem schnellen Blick auf den Fahrplan feststellen können. Da kann ich dann in die U6 steigen. Was mir nun bevorsteht, ist eine nette kleine Stadtrundfahrt durch Mitte und Kreuzberg, aber irgendwann kommt der Bus tatsächlich am Halleschen Tor an. Ich steige aus und betrete den U-Bahnhof. Der ist zur Zeit eine einzige Baustelle. Alles mit Brettern vernagelt, Umwege hinter provisorischen Zäunen entlang, aber irgendwann komme ich auf den Bahnsteig. Hier wieder geschätzte 150.000 Menschen. Und schon nach 6 Minuten fährt ein – wie nicht anders zu erwarten – völlig überfüllter KURZZUG ein. Mit dieser Bahn komme ich nicht mehr mit, aber vielleicht ist ja nie nächste etwas leerer. Die kommt nach weiteren 8 Minuten - genau so voll. Diesmal gelingt es mir, mich mit hineinzuquetschen und kaum ist die Bahn losgefahren, erklingt die freundliche Ansage „Nächste Station: Kochstraße“ KOCHSTRASSE? Das ist doch die falsche Richtung!!! Muss wohl an dem Chaos am Halleschen Tor gelegen haben, dass ich da etwas die Orientierung verloren habe. Also wieder raus aus der Bahn. Auf die Gegenrichtung warten. Die kommt nach 5 Minuten und ist zum Glück nicht ganz so voll. Ich fahre bis Ullsteinstraße und sehe von meinem Bus gerade noch die Rücklichter. Also nochmal 10 Minuten warten.
Insgesamt eine Stunde später als normal erreiche ich mein Büro und bin jetzt erst mal reif für eine Frühstückspause.
Im Laufe des Vormittags erreichen mich Erlebnisberichte von anderen Streikgeschädigten. Daraus lerne ich: mich hat es nicht am schlimmsten getroffen.
Aber sehen wir das einfach mal so: Eigentlich war das ganze eine hübsche kleine Stadtrallye und es kam darauf an, mit möglichst viel Phantasie von Punkt A nach Punkt B zu kommen. Derjenige mit den längsten Umwegen hat gewonnen. Nur - was bekommt er jetzt dafür? Oder müssen wir heute Nachmittag für den Heimweg alle in die zweite Spielrunde gehen?
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| von am um | |
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Da möchte ich meinen Senf dazu geben