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Wenn einer eine Reise tut...


Osterausflug

von Anke Krause
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Eine Fahrt ins Grüne bei schönstem Wetter soll es sein. Etwas Kultur, etwas Natur und ein paar kulinarische Genüsse sind auch eingeplant.

Auto startklar gemacht, Oma und Kind auf der Rückbank verstaut, los geht es Richtung  Neuzelle. Nach den ersten Kilometern auf der Autobahn ein schrilles Piepen und die Anzeige „Kraftstoffstand niedrig“, aber Papa hat keine Lust auf Diskussionen mit dem Auto und fährt einfach weiter.

Vor ein paar Jahren waren wir schon einmal hier, ohne Oma und Kind. Unsere Erinnerung beschränkt sich vorwiegend auf das enorme Gewitter, in das wir geraten waren und das uns zwang, viel mehr Zeit als eigentlich eingeplant in der Klosterbuchhandlung zu verbringen. Und die Rückfahrt durch Eisenhüttenstadt war auch eher abenteuerlich, weil die Straßen zum Teil knietief  überschwemmt waren.

Nun gut, diesmal ist das nicht zu befürchten., die Sonne strahlt vom Himmel, die Jacken haben wir eigentlich nur zu Dekorationszwecken mitgenommen. Alleine sind wir nicht gerade auf dem Klostergelände und wir befürchten schon, das Auto in riesiger Entfernung abstellen zu müssen. „Steigt schon mal aus, ich suche dann einen Parkplatz!“
Oh je, das hört sich nach übel langer Warte- und Herumstehzeit an. Aber wir versuchen es dann doch auf dem ausgeschilderten Parkplatz direkt hinter dem Kloster, und siehe da: Genügend freie Plätze, so dass wir uns auch noch den schönsten aussuchen können. Das Gesicht des Kindes wird immer länger.

„Warum habt ihr mir denn nicht gesagt, dass wir jetzt ein KLOSTER besichtigen?“
„Vermutlich, weil du dann gar nicht erst mitgefahren wärest!“.

Ich sehe es jetzt aber doch als meine mütterliche Pflicht an, das arme Kind vorzuwarnen angesichts dessen, was sie jetzt erwartet:  Barock in Reinkultur. Beim Betreten der Kirche wird man förmlich erschlagen von kleinen dicken nackten Putten und Marienbildern von zweifelhafter Schönheit. Mein Lieblingsspruch in derartigen Situationen: "Ich weiss gar nicht, wo ich zuerst weggucken soll!". Mit Mühe gelingt es dem Kind, einen Entsetzensschrei zu unterdrücken, dann fügt sie sich aber in das Unvermeidbare. Zum Glück hat sie ihre Kamera dabei und gemeinsam gehen wir jetzt auf  Motivsuche. Wenn man sich mal genauer umsieht, gibt es ja doch einiges zu entdecken. Was soll da bloß für eine Musik herauskommen bei der miesen Geigen- und Bogenhaltung? Oder: "Iiih, schon wieder Zähne putzen"! "Kommt mir nicht zu nah!" Hat man hier die Weisheit mit Löffeln gefressen? Auch einem eventuellen plötzlichen Rohrbruch kann man hier in Eigeninitiative ganz schnell begegnen.

Irgendwann haben wir es dann geschafft, wir verlassen die Kirche. Im letzten Jahr ist die Gartenanlage des Klosters fertig geworden, die soll dem Vernehmen nach spektakulär sein. Das Kind ist erleichtert, dass es jetzt auch mal ein paar Blumen fotografieren kann. Am Eingang des Gartens weist man uns darauf hin, dass kein Winterdienst existiert. Wir nehmen das zur Kenntnis und wagen uns todesmutig trotzdem vor. Der Garten erstreckt sich terrassenförmig einen Hang hinunter, besteht  abwechselnd aus Treppen, Betonrampen, ordentlichst gemähtem Rasen, ein paar kegelförmig zurecht geschnitzten Büschen und einem kleinen Rondell mit Stiefmütterchen. Höchst eindrucksvoll! Beschlusslage: Da gehen wir nicht runter, lieber schauen wir uns noch die kleine evangelische Kirche am Rand der Anlage an. Das Kind ist einer mittleren Krise nah und macht voller Verzweiflung ein paar Nahaufnahmen von Stiefmütterchen-Blüten in einer Pflanzschale. So kann sie sich gar nicht selbst von der freudigen Tatsache überzeugen, dass die Kirche geschlossen ist. Einen Blick hinein durch die Tür riskieren wir trotzdem. Ich lasse mich nicht davon abbringen, dass die Ausstattung dieser Kirche aus dem Gerümpel besteht, das in die große katholische nicht mehr hineinpasste. Kein bisschen besser also, nur eben etwas kleiner.

So, es reicht uns, wir haben genug gesehen. Jetzt brauchen wir erst einmal eine Stärkung. Im Vorgarten der Klösterschänke sind vier Plätze an einem großen Tisch frei und wir lassen uns nieder. Gleichzeitig mit einer jungen Familie – Vater, Mutter, Kind.
Wir arbeiten uns durch die Karte und entscheiden uns dann für ein Kännchen Kaffee und ein Stück Apfelkuchen mit Sahne (Oma), Palatschinken und eine große Limo (Kind), Himbeer-Käsesahne-Torte und ein Latte Macchiato (Papa), Kartoffelsuppe und ein kleines Bier (ich ). Dass es das Bier aus der Klosterbrauerei hier nur in Flaschen gibt, wussten wir noch vom letzten Mal. Also ist man auf das übliche Programm deutscher Großbrauereien angewiesen. Aber gut, damit kann man sich notfalls arrangieren.
Nun dauert es erst einmal eine ganze Weile, bis sich irgendeine der zahlreichen Bedienungen zuständig fühlt. Irgendwann bequemt sich dann doch eine und nimmt unsere Bestellung auf. Es dauert wiederum eine Weile, bis sie mit mehreren Nachfragen alles notiert hat, und dann nochmal ziemlich lange, bis sie begriffen hat, dass die Familie nebendran für sich selbst bestellt und wir NICHT zusammen gehören. (Dortige Bestellung im übrigen: ein Bananensaft fürs Kind, Latte Macchiato für die Mutter, ein Flaschen-Klosterbier für den Vater. Zu essen für die Eltern irgendwelche Nummern aus der Speisekarte und „Haben Sie auch eine Kinderkarte?“ - „Die steckt doch hinten in der anderen drin“.  Tut sie aber nicht, da hilft alles Suche nicht. „Ich bringe gleich eine andere“. Nun ist wiederum längere Wartezeit angesagt. Plötzlich taucht wie aus dem Nichts eine andere Bedienung auf, stellt ein Glas Fassbier, zwei Latte Macchiato, ein Kännchen Kaffee (übrigens ohne Deckel, offenbar ist man davon überzeugt, dass Oma den Kaffee so heiß nicht mag!), ein Stück Apfelkuchen und eine Portion Palatschinken auf den Tisch. Unser Kind demonstriert zunächst seine guten Tischmanieren und bleibt brav vor dem Teller sitzen ohne anzufangen „Ich warte schließlich, bis alle etwas haben und dann fangen wir gemeinsam an!“. Als wir aber sehen, wie sich die Sahne allmählich in der Sonne auflöst, und das Eintreffen der noch fehlenden Speisen und Getränke nicht absehbar ist, erteilen wir ihr gnädig die Erlaubnis, schon einmal anzufangen. Der erste Bissen bleibt ihr bereits fast im Hals stecken: „Iiiih, Sprühsahne aus der Büchse!“. Aber tapfer  arbeitet sie sich weiter durch ihre Portion Gelegentlich spült sie mit meinem Bier nach, denn von ihrer Limo ist weit und breit nichts zu sehen.  Inzwischen kommt eine dritte Bedienung, stellt einen Bananensaft auf den Tisch und will einen großen Eisbecher loswerden. Wir reichen den Bananensaft durch und versuchen geduldig, der Dame klarzumachen, dass hier bestimmt niemand einen Eisbecher bestellt hat, im übrigen aber noch eine Himbeer-Käsesahne-Torte fehlt. Sie sagt „ja, ja“  und zieht ratlos mit dem Eisbecher wieder ab. Papa versucht inzwischen, sein Latte Macchiato zu beherrschen. Kalt, im übrigen! Das Löffeln des Milchschaums scheitert daran, dass der Löffel im Glas versinkt. Ganz vorsichtig fragen wir bei Oma nach „Wie ist eigentlich dein Kuchen?“ - „Ähmmm“  kommt als ziemlich mehrdeutige Antwort zurück.
Die Nachbarn haben inzwischen auch eine Portion Essen bekommen, aber kein Besteck. Das wird etliche Zeit später von einer weiteren Bedienung gebracht. Nun ist das Essen kalt, aber macht nichts, wegen der vielen Haare auf dem Teller bleibt es ohnehin stehen. Ein vierter Kellner kommt noch einmal mit dem Eisbecher vorbei, der mittlerweile ziemlich zerlaufen aussieht. Wieder müssen wir bedauernd verneinen. Dann irgendwann schwebt das Stück Himbeer-Käsesahne-Torte an. Die wievielte Bedienung das nun bringt, habe ich nicht mehr nachgehalten. Gut, was Kuchen betrifft, bin ich ja vielleicht etwas voreingenommen, aber da hat sich sogar meine sonst sehr positiv eingestellte Familie geschüttelt. Dem Kind reicht der optische Eindruck, der Gatte quält sich durch nach dem Motto „Bezahlt ist bezahlt!“. So, endlich ist es soweit, meine Kartoffelsuppe wird von einer weiteren Bedienung gebracht. Der Teller hat vorher ganz offensichtlich im Kirschkuchen anderer Gäste gestanden, aber mittlerweile kann nicht kaum noch etwas schocken. Außer vielleicht dem Geschmack der Suppe. Muffig, garantiert aus der Büchse, mit Fertig-Röstzwiebeln, deren Haltbarkeitsdatum dem Kaugefühl nach zu urteilen vor vier bis fünf Jahren abgelaufen ist. Die anschließende Frage „Hat es geschmeckt“  (äh - reagiere ich jetzt ehrlich, höflich oder diplomatisch?) beantworte ich – Omas Beispiel folgend - mit „Ähmmm“.
Jetzt aber ist der große Moment da: eine siebte, achte oder neunte Bedienung bringt dem Kind ein KLEINES Glas Limo. Dass die Freude da überbordend wird, muss ich sicher nicht gesondert erwähnen.
Jetzt noch der obligatorische Gang zur Toilette, bevor wir die gastliche Stätte wieder verlassen. Zunächst muss ich den Gastraum durchqueren, in dem die Zeit in den 50er Jahren stehengeblieben zu sein scheint. Röhrende Hirsche an den Wänden, Acryl-Häkeldecken auf den Tischen, Kalanchoe-Töpfe auf den Fensterbänken in jeweils genau 35 cm Abstand, immer abwechselnd rot und gelb. Dann stehe ich endlich vor der Tür der Damentoilette. Als ich sie öffne, prangt mir ein nacktes Hinterteil entgegen. Nicht als Bild, sondern richtig echt! Direkt hinter der Tür – und direkt unter dem Papierhandtuchspender – steht nämlich der Wickeltisch. Und darauf steht ein nackter kleiner Junge, der seine Mutter davon überzeugen möchte, dass Anziehen doof ist. Um ihn etwas abzulenken, gestattet die Mutter, dass er ein Papierhandtuch nach dem anderen aus dem Spender zieht und strategisch gleichmäßig im Toilettenvorraum verteilt. Ich dränge mich jetzt vorbei und entere eine freie Kabine (oh Zeichen und Wunder, es gibt sogar Papier!). Als ich wieder herauskomme, hat im Wickelraum ein Schichtwechsel stattgefunden. Der kleine Junge steht immer noch nackt auf dem Wickeltisch, nur leistet jetzt die Großmutter Überzeugungsarbeit. Vergeblich, wie sich herausstellt, der lautstarke Protest nimmt kein Ende. Ich wasche meine Hände, die Großmutter entwindet dem Kind zwei Papierhandtücher und reicht sie mir mir resigniertem Blick.
Ich gehe zurück nach draußen zur Familie, das Kind hat mittlerweile die Limo ausgetrunken. Der Vater der Tischnachbar-Familie bekommt jetzt endlich sein Essen, nachdem auf wundersame Weise auch irgendwann zwischendurch plötzlich ein Kinderteller mit Pommes und einem undefinierbaren Stück Fleisch auf dem Tisch stand.
Die Rechnung wird geordert, schon jetzt mit dem festen Vorsatz, sie zunächst einer genauen Prüfung zu unterziehen. Inzwischen ist auch das Kind in China verschwunden und kommt einige Zeit später zurück, die Hände am Halstuch abreibend: „Waren keine Handtücher mehr da!“. Immerhin war wohl das Wickelkind auch mittlerweile verschwunden. Ob angezogen oder nicht, lässt sich nicht mehr feststellen. Die Rechnung kommt, erstaunlicherweise stimmt sie sogar ganz genau. Trotzdem veranstalten wir hier eine absolute Premiere: Wir geben nicht einen Cent Trinkgeld. O-Ton Gatte: „Das wäre eine Beleidigung für alle Kneipen mit halbwegs ordentlichem Service!“.

So, jetzt noch kurz in den Klosterladen, vielleicht gibt es ja ein frisches Brot für morgen, dann müssen wir keins aus der Kühltruhe nehmen. Aber diese Hoffnung war ohnehin nur recht halbherzig, so sind wir nicht all zu enttäuscht, dass es nur „Badebier“, „Anti-Aging-Bier“, den unvermeidlichen „Schwarzen Abt“ und Keramik-Schalen zum dekorativen Ummanteln von Fischkonservendosen zu kaufen gibt.
Also zurück zum Auto, Rückfahrt diesmal über Eisenhüttenstadt mit seinem angeblich sehenswerten Ortsteil Fürstenberg. Der ist so sehenswert, dass wir das Auto nicht einmal verlassen und schleunigst den Heimweg antreten.
Wieder „Piiiiep! - Kraftstoffstand niedrig!“. Und wieder werden derart unqualifizierte Bemerkungen ignoriert. Zwischendurch müssen wir noch eine Baustelle mit Stau überstehen, das Blinken wird immer penetranter. Aber erst kurz vor Erreichen der Heimat verliert Papa dann doch die Nerven und steuert eine Tankstelle an. Ich kann von meinem Platz aus die Tankanzeige nicht sehen und frage das Kind.  „61,7 Liter“ ist die Antwort. Erstaunlich bei einem Tank, der laut Bedienungsanleitung 60 Liter fasst. Aber da sehe ich mich nur wieder in meinem gesunden Misstrauen gegenüber Bedienungsanleitungen aller Art bestätigt!
So, jetzt bleibt uns noch, Oma zu Hause abzuliefern, das Auto abzustellen und uns einen gemütlichen und erholsamen Abend zu machen.

Es war ein schöner Ausflug, wir planen schon für nächstes Jahr!
 

Zuletzt geändert: Apr 20 2009 um 12:48

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